Der Ärztemangel erreicht zunehmend auch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV).
Die DGUV hat den Anspruch und Auftrag ihren Versicherten mit allen geeigneten Mitteln zu helfen. Doch was, wenn Versicherte in Zukunft nicht mehr so schnell zu einer adäquaten bzw. gesetzlich geregelten Behandlung kommen, da die Anzahl der Durchgangsärzteinnen stetig sinkt? Wie wird die Versorgung sich in den nächsten Jahren entwickeln, wenn die Anzahl der D-Ärzteinnen weiter sinkt und wie gehen wir mit dem generationsübergreifenden Wandel um. Ist es noch erstrebenswert bei allen Anforderungen und Problemen eine Durchgangsärztin bzw. Durchgangsarzt zu werden?
Die ärztliche Nachwuchsgewinnung in Deutschland ist bekanntermaßen von einigen Herausforderungen geprägt. Der wachsende Ärztemangel ist insbesondere in ländlichen Gebieten und einigen Fachrichtungen deutlich zu spüren.
Auch die Orthopädie und Unfallchirurgie ist hiervon nicht ausgenommen. Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) hat dies schon lange erkannt und versucht mit verschiedenen Mitteln den jungen Nachwuchs für das Fach zu gewinnen. Im Rahmen der Jahrestagung der Shock Society in Phoenix (Arizona, USA) 2003, kam erstmals die Idee bei jungen Kolleginnen auf, eine Interessenvertretung für junge Ärztinnen und Ärzte in Orthopädie und Unfallchirurgie zu gründen. Das Junge Forum O und U (JFOU) versteht sich selbst als Organisation des ärztlichen Nachwuchses im Fach Orthopädie und Unfallchirurgie. Die enge Zusammenarbeit von Vertreterinnen der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) und des Berufsverbands für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) wurde schließlich im April 2016 institutionalisiert. Aktionen wie die Summer School, bei der junge Studenten*innen erste Erfahrungen in dem Fach sammeln können und Kongressbegleitungen beim größten deutschen Orthopädie und Unfallchirurgie Kongress sind fester Bestandteil geworden.
War die Orthopädie und Unfallchirurgie über Jahre ein von Männern dominiertes Fach, hat sich auch hier in den letzten Jahren ein deutlicher Wandel eingestellt. Die erfreuliche Situation, dass immer mehr Frauen das Fachgebiet spannend finden, bringt aber auch neue Herausforderungen mit sich. Hinzu kommen die generationsspezifischen Merkmale, die auf die Entwicklung des Nachwuchses für O und U einwirken. Alle diese Faktoren führen zu einer Gemengelage, die es für die Entwicklung des Nachwuchses im Fach O und U zu betrachten gilt.
Schreitet die Ausbildung als Orthopädein und Unfallchirurgin fort, kommt unweigerlich irgendwann die Frage, in welche Richtung das weitere berufliche Streben einesr jeden Einzelnen geht. Es gibt in der beruflichen Entwicklung Meilensteine und Entscheidungen, die es zu treffen gilt. Ist die fachärztliche Reife durch die Prüfung abgeschlossen, kommt die nächste Frage auf: Gehe ich eher den orthopädischen Weg oder den unfallchirurgischen? Entscheidet manfrau sich für eine spezielle Richtung, kommt man*frau dann nicht umher, sich ggf. weiter zu spezialisieren.
Als “Krönung” der unfallchirurgischen Tätigkeit und Ausbildung wird immer noch die Arbeit als Durchgangsärztin bzw. -arzt gesehen. Will man operativ im Rahmen seiner Tätigkeit als Arzt/Ärztin für Arbeits-, Wege-, Schul- und Kita-Unfälle tätig sein, kommt man um die Spezielle Unfallchirurgie in der Ausbildung nicht herum. All dies führt zu einem langen Ausbildungsweg und ist mit erheblichem Aufwand und Einschränkungen verbunden. Selbstverständlich entscheidet sich jede*r eigenständig für den Weg und hat häufig alles Positive und Negative abgewogen.
Der lange und stetige Nachwuchsmangel in O und U und die oben beschriebenen Faktoren führen nun zusehends zu einem weiteren Problem. Die Spezialist*innen, die so sehr von allen Seiten gewünscht werden, kommen nicht unbedingt in den Bereichen an, in denen sie benötigt werden. Die Speerspitzen der unfallchirurgischen Versorgung stumpfen zusehends ab.
Eine der primären Aufgabe der DGUV ist nach eigenen Angaben die Durchführung, Koordinierung und Förderung gemeinsamer Maßnahmen auf dem Gebiet der Prävention von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren. Die Ärzteschaft ist hierbei eine der wichtigsten Partnerinnen, da sie die Versicherten primär behandelt und für die Koordinierung und Steuerung des Heilverfahrens zu Beginn übernehmen. Ob stationär oder ambulant, ohne die hochspezialisierten Ärzteinnen geht es nicht. Der zunehmende Wunsch der Zentralisierung und Spezialisierung in der Medizin ist auf dem Gebiet der Unfallchirurgie schon lange kein Wunschdenken. Die Versicherten haben bei der Versorgung der Unfallfolgen im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung keine große Wahl – sie müssen zumr Spezialistenin. Hier erfolgt dann die weitere Steuerung des Heilverfahrens in Zusammenarbeit mit den zuständigen Berufsgenossenschaften und Unfallkassen. Eigentlich ein guter und qualitätsgesicherter Weg, der sich über Jahre- bzw. Jahrzehnte bewährt hat. Doch was, wenn die flächendeckende Absicherung aufgrund des Nachwuchsmangels nicht gesichert werden kann? Die Altersstruktur der D-Ärztinnen spricht eine klare Sprache: 55% der tätigen Ärzteinnen sind älter als 56 Jahre und erreicht in großen Schritten das rentenberechtigte Alter. Was tun in der Fläche, wenn die ambulante Stütze dort nicht mehr ausreicht? Gab es 2019 noch 3.889 praktizierende Ärzteinnen, so sank der Anteil in 3 Jahren auf 3.708.
Auch die Unzufriedenheit hat bei den D-Ärztinnen in den letzten Jahren zugenommen. Sowohl die stationär, als auch ambulant tätigen Ärzteinnen, sind zunehmend mit ihrer Tätigkeit unzufrieden. Hier liegen sicher viele Faktoren vor, die die Stimmung beeinflussen. Nicht nur finanziellen Gründe sind hier zu nennen. Die Auflagen zur Tätigkeit als Durchgangsarzt bzw. -ärztin, die fehlende Digitalisierung und zum Teil schwierige Kommunikation der Beteiligten beeinflussen dies zusätzlich. Ein erfreulicher Aspekt in der Betrachtung ist die rückläufige Entwicklung der Anzahl an Durchgangsarztberichte. Diese ist auf eine verringerte Anzahl an Unfällen zurückzuführen. Wurden 2019 noch 3.206.450 Durchgangsarztberichte erstellt, so sank die Zahl kontinuierlich auf 2.809.588 im Jahr 2022.
Wird in den letzten Tagen und Wochen eigentlich nur von der Krankenhausreform und Strukturanpassungen im stationären Bereich gesprochen, so muss der Blick auch auf den ambulanten Sektor geworfen werden. Auch hier ist die Unfallchirurgie mit dem Durchgangsarztverfahren Vorreiterin im Sinne der Zusammenarbeit und Koordinierung. Die sektorenübergreifende Steuerung des Heilverfahrens verläuft in der Regel problemlos, auch wenn hier und da Anpassungen sicherlich sinnvoll wären. Vergessen wird gerne, dass der überwiegende Teil der Durchgangsärzteinnen im ambulanten Sektor tätig sind. 74% der spezialisierten Ärzteinnen sind in eigener Praxis oder in einem MVZ tätig. Hingegen finden sich 26% in den zugelassen Kliniken. Dies verdeutlicht das Problem für die DGUV: Sollte sich die Anzahl der D-Ärzte*innen altersbedingt weiter reduzieren, so ist die flächige spezialisierte Versorgung ihrer Versicherten nicht gewährleistet.
Um die Attraktivität zu steigern, als D-Arzt/-Ärztin zu arbeiten, ist es für alle Entscheiderinnen und Planerinnen wichtig, sich mit den jungen Menschen und deren Ansichten zu beschäftigen.
Die Ära der Baby Boomer geht definitiv zu Ende und hiermit deren zum Teil prägender Einfluss auf die Ausbildung der Unfallchirurg*innen.
Die Baby Boomer sind eine Generation, die in der Regel zwischen 1946 und 1964 geboren wurde und somit in den 1950er bis 1970er Jahren aufwuchs. Deren Arbeitsethik war oft sehr arbeitsorientiert und sie legten großen Wert auf Karriere und beruflichen Erfolg. Treffen die Baby Boomer im Rahmen ihrer ausbildenden Funktion in den Klinik nun auf die jungen Generationen, sind die Probleme vorprogrammiert. War die Generation X, die den Übergang von der analogen zur digitalen Welt miterlebt hat und über eine gewisse Anpassungs-, Leidensfähigkeit und Pflichtbewusstsein verfügte, noch “aufblickend” zu den Baby Boomern, kam mit der Generation Y (in der Regel zwischen 1981 und 1995) eine gänzlich andere Orientierung in den Klinikbetrieb. ***Selbst denkend, eigenständig handelnd und ihre Tätigkeit überwiegend mobil und mit gewünschten flexiblen Arbeitszeiten sehend, standen sie vor den Chefärzteninnen.
Hoffnung für die nun ausbildende Generation X macht möglicherweise die Generation Z, auch als Gen Z bezeichnet. Diese umfasst in der Regel diejenigen, die in den späten 1990er Jahren bis Mitte der 2010er Jahre geboren wurden. Als Merkmale werden die tendenziell offene Art und deren Akzeptanz von Vielfalt von Identitäten, einschließlich ethnischer, geschlechtlicher und sexueller Vielfalt gesehen. Schauen wir auf deren Denken zu Bildung und beruflicher Flexibilität, so schätzt die Generation Z eine umfassende Ausbildung und ist offen für ein lebenslanges Lernen. Sie soll auch eine gewisse Bereitschaft haben, Berufswege und Karrieren zu wechseln, um ihre Interessen und Ziele zu verfolgen. Alles Eigenschaften, die wohl in der Unfallchirurgie und im Speziellen als Durchgangsarzt bzw. -ärztin gefragt sind.
Die Herausforderung für die DGUV und den ausbildenden Kliniken und Einrichtungen besteht darin, unter Berücksichtigung der strukturellen und generationsbedingten Änderungen die Attraktivität als Durchgangsarzt, – ärztin arbeiten zu wollen, zu steigern. Hier sind die Themen wie Vergütung und Optimierung der Arbeitsprozesse zu nennen. Die weiterhin fehlenden großen Schritte in der Digitalisierung führen gerade bei den technikaffinen Generationen zu absolutem Unverständnis.
Die DGUV hat in den letzten Jahren schon erkannt, dass sie aktiv werden muss und schon viele Änderungen angeschoben. Diese betreffen Zulassungsmodalitäten zum D-Arztwesen sowie räumliche bzw. bauliche Vorgaben. Auch der Schritt zu einer bessern Vergütung ist sicher ein richtiger und wichtiger Weg. Die Attraktivität ist aber nicht allein durch pekuniären Anreiz zu schaffen. Die Änderung der Arbeitszeiten ist ebenfalls ein wichtiger Schritt, um für nachfolgende Generationen die Tätigkeit attraktiv zu machen.
Wir müssen auch überlegen, wie wir einen möglichen Qualitätsabfall in der flächendeckenden Versorgung von Unfallverletzten vermeiden. Die ambulante Versorgung ist eine große Säule in der qualifizierten Versorgung und benötigt ebenfalls dringend Nachwuchs. Die ambulante Versorgung kann nirgendwo besser gelernt werden, als im ambulanten Sektor. Hier sollte z. B. eine sektorenübergreifende Ausbildung überdacht werden, ähnlich der geförderten Allgemeinmedizin. Junge Kollegeninnen könnten hier an die ambulante Tätigkeit herangeführt werden und auch mögliche Übernahmekandidatinnen der Praxisabgebenden darstellen. In Abstimmung mit den ausbildenden Krankenhäusern könnten zusätzlich Rotationen organisiert werden, die beiden Seiten einen Vorteil bringen würden.
Im Rahmen des 10. D-Arzt Forums in Dortmund vom 07. – 09.09.2023 welches vom Bundesverband der Durchgangsärzte e. V. organisiert wird, wird mit dem Jungen Forum der DGOU ein Satelitensymposium bei freiem Eintritt stattfinden, um Fragen zu stellen und Antworten rund um die Tätigkeit als Durchgangsarzt, -ärztin zu bekommen. Auch erste Schritte in der Begutachtung und Arbeiten in der Rettungsstelle sind Themen.
Allein kann die DGUV hier nicht einwirken. Es ist vor allem die Aufgabe von uns allen tätigen Orthopädinnen und Unfallchirurginnen, unser Fach zu einen und in diesem speziellen Fall die Tätigkeit als D-Arzt/Ärztin, für junge Menschen attraktiv zu gestalten.